SORMAS bekämpft Affenpocken-Epidemie in Nigeria
Mit einer innovativen technologischen Lösung Epidemien in Afrika verhindern und eindämmen: Das verspricht das Epidemie-Management-System SORMAS. Ursprünglich aufgrund des Ebola-Ausbruchs ins Leben gerufen, bekämpfte es die Affenpocken in Nigeria – mit Erfolg.
Mittlerweile ist SORMAS auch erfolgreich zur Bekämpfung des Coronavirus in Europa im Einsatz. Gesundheitsämter der Schweiz und Frankreich setzen das speziell für das Coronavirus entwickelte Modul bereits flächendeckend zur COVID-19-Kontaktverfolgung ein. Auch in Deutschland soll SORMAS bald allen Gesundheitsämtern zur Verfügung stehen.
SORMAS steht für: Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System. Es ist ein System, das die Entstehung und Ausbreitung von Seuchen verhindern und eindämmen soll. Mithilfe von SORMAS können Infizierte schneller identifiziert und alle beteiligten Gesundheitseinrichtungen in Echtzeit informiert werden.
Entwickelt haben SORMAS das Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI), das African Field Epidemiology Network (AFENET), das Nigeria Centre for Disease Control (NCDC) und die vitagroup. Seit 2016 verantwortet die vitagroup als Experte für digitale Softwarelösungen im Gesundheitssektor die Entwicklung und Verbesserung der Software von SORMAS. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) fördern das Projekt. Doch wie funktioniert das Epidemie-Management-System?
Im Video: Die Entstehungsgeschichte von SORMAS und seine Chancen für Afrika.
So verhindert SORMAS Epidemien: ein Fallbeispiel
„39 Grad Körpertemperatur. Das ist nicht gut. Das muss ich melden.“ Dr. Adisa Okeke tastet die geschwollenen Lymphknoten der 17-jährigen Malaika ab. Nach der Untersuchung geht Dr. Okeke zu seinem Auto, nimmt sein Smartphone und startet die App von SORMAS. Er trägt Malaikas Daten ein: Fieber, geschwollene Lymphknoten, Hautausschlag. Verdacht auf Affenpocken. Klick auf „OK“ – „Die Daten wurden gespeichert.“, meldet die App. Er hat hier im Dorf zwar keine Internetverbindung, aber sobald er auf der nächsten Hauptstraße ist, hat er wieder Netz, dann werden die Daten automatisch in die Cloud von SORMAS geladen. „Daten übermittelt“, zeigt das Display kurze Zeit später.
Heute Morgen wurde Dr. Okeke beauftragt, Malaika zu untersuchen – eine Informantin aus dem Dorf hat den Verdacht auf Affenpocken über ihre SORMAS-App gemeldet. Auch sie ist ein wichtiger Teil des SORMAS-Netzwerks. Sie hat die SORMAS-App auf ihrem Smartphone und weiß, was sie machen muss, wenn jemand im Dorf typische Krankheitssymptome aufweist.
Sind die Daten hochgeladen, können alle, die an der Bekämpfung der Epidemie beteiligt sind – wie Gesundheitsaufseher, Klinikmitarbeiter, Laborarbeiter, Epidemiologen –, Malaikas Daten sehen, sich miteinander vernetzen und epidemiologische Daten austauschen – auch regionale und nationale Behörden für Infektionsschutz. Die Informationen sind voll digitalisiert und können daher auch sofort international bereit gestellt werden, zum Beispiel der Weltgesundheitsorganisation. Ein weiteres Plus: SORMAS ist als Open Source Software frei im Internet (GitHub) zugänglich und garantiert Interoperabilität mit allen gängigen Systemen.
Dr. Okeke weiß, dass nun die Überwachungssupervisoren die übermittelten Daten über die SORMAS Web-Anwendung auf ihren Desktop PC prüfen. Die Supervisoren haben eine entscheidende Funktion: Sie haben den Überblick über die Situation. Sie sehen die Standorte der Verdachts- oder Krankheitsfälle und zusammenfassende Statistiken – SORMAS erstellt das automatisch.
Die Funktionen von SORMAS auf einen Blick
- Benachrichtigung der Gesundheitseinrichtungen bei Verdachtsfällen
- Echtzeit-Digitalisierung und Synchronisierung der Daten auf allen Ebenen
- Mobile Offline-Funktion
- Krankheitsüberwachung
- Alle Akteure haben Zugang zu den Daten
- Zuständigkeiten werden koordiniert
- Epidemiologische Analysen für alle Verwaltungsebenen
- Algorithmen erkennen Krankheitsausbrüche
- Betriebssystem Android: funktioniert auf Smartphones, Tablets und Desktop PCs
- Interoperabilität mit allen gängigen Systemen
- Open Source, auf GitHub zugänglich
- Benutzerorientiertes Design
Malaika muss ins Krankenhaus – auch die Ärzte im Hospital sind über SORMAS vernetzt. Sie werden die 17-Jährige weiterbehandeln. Bestätigt das Labor den Verdacht auf Affenpocken, wird auch dies in SORMAS erfasst – und falls notwendig, weitere Maßnahmen eingeleitet, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern.
Im Video: So funktioniert SORMAS.
Der Workflow von SORMAS
© Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH (HZI)
Der Workflow von SORMAS ist in drei Abschnitte eingeteilt:
- Schritt 1 – mögliche Krankheitsfälle erkennen und Daten sammeln Über verschiedene Kanäle – Bürgertelefon, Mediziner oder Krankenhäuser – gelangen Informationen über Verdachtsfälle in das System von SORMAS.
- Schritt 2 – Validierung Überwachungs-Officer und -Supervisoren überprüfen und analysieren die Daten und beauftragen bei Bedarf Personen, die für die Kontrolle zuständig sind.
- Schritt 3 – Kontrolle Der Kranke ist identifiziert und wird behandelt. Bei Bedarf werden weitere Maßnahmen eingeleitet, um die Verbreitung des Virus zu unterbinden.
Erfolgreicher Praxistest in Nigeria
Ursprünglich wurde SORMAS im Zuge der Ebola-Epidemie entwickelt. Der Grund: Das Virus konnte nicht ausreichend kontrolliert werden – die Datenlage über infizierte Personen war lückenhaft, die Kommunikation zwischen den Akteuren langwierig.
Während einer Epidemie von Affenpocken im November 2017 in Nigeria konnte SORMAS seine Nützlichkeit unter Beweis stellen. Seit Oktober traten dort erstmalig Affenpocken auf und die Lage wurde unübersichtlich, weil die Zahl der betroffenen Landesteile zunahm. Das HZI wurde daher beauftragt, mit Hilfe von SORMAS die aktuelle Lage vor Ort einzuschätzen und aufzuklären.
Innerhalb weniger Tage war SORMAS im Lagezentrum der Nationalen Seuchenschutzbehörde, den Laboren und den betroffenen Bezirken eingerichtet und die Datenlage verbesserte sich umgehend deutlich. „Die Vorteile von SORMAS waren umgehend sichtbar und dank SORMAS war es offensichtlich, welche Regionen am meisten betroffen waren und unsere Hilfe benötigten“, sagt Dr. Olawunmi Adeoye vom nigerianischen Zentrum für Krankheitskontrolle.
Mittlerweile wird SORMAS erfolgreich in über 400 Distrikten in Nigeria, Ghana und Fidschi für die Bekämpfung von 37 Infektionskrankheiten eingesetzt und deckt dort eine Bevölkerung von über 120 Millionen Einwohnern ab (Stand 25.04.2020). Und auch in Deutschland ist SORMAS im Zuge der Corona-Pandemie in deutschen Gesundheitsämtern im Einsatz.
SORMAS zur COVID-19-Kontaktverfolgung
März 2020: Das Coronavirus breitet sich global aus. Als sich das abzeichnete, wurde SORMAS schnell und agil erweitert – und auf COVID-19 angepasst. So stand das ergänzte Coronavirus-Modul in Nigeria und Ghana zur Verfügung, noch bevor die ersten Fälle in Afrika auftraten.
Das angepasste SORMAS-ÖGD sorgt für einfachere und effiziente Arbeitsprozesse beim Fall- und Kontaktpersonenmanagement und entlastet so die Gesundheitsämter. Das System erstellt automatisch SARS-CoV-2‐spezifische Prozessmodelle für Fallmeldungen, Infektionsverläufe und Diagnostik. Notwendige Arbeitsschritte, die die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen beachten müssen, sind bereits definiert: Terminsystem, Aufgabenverwaltung und Erinnerungssystem. Algorithmen informieren darüber, was zu tun ist, wenn eine Kontaktperson nicht erreicht wurde, Symptome entwickelt oder Aussagen verweigert. Fortlaufend generiert SORMAS epidemiologische Karten und Übertragungsketten und erstellt Prozessanalysen. Ein weiteres Plus: Die Gesundheitsämter können Prozesse individuell konfigurieren, beispielsweise die Dauer und Berechnung der verordneten Quarantäne und der Follow-ups. Demnächst können auch Quarantäne-Bescheide automatisch über das System erstellt werden.
Im September 2020 entschied das Bundesamt für Gesundheit der Schweiz: SORMAS wird allen Kantonen zur SARS-CoV-2-Kontaktverfolgung zur Verfügung gestellt. Als einzige Lösung konnte SORMAS sämtliche Anforderungen der Schweiz erfüllen. Auch in Frankreich ist SORMAS implementiert und wird dort bald flächendeckend im Einsatz sein. In Deutschland nutzen bereits zahlreiche Gesundheitsämter das System erfolgreich. Auch die Bundesregierung ist von SORMAS überzeugt und fordert nun: SORMAS soll in allen deutschen Gesundheitsämter zum Einsatz kommen. Am 06. Dezember 2020 entschied die bayerische Kabinettssitzung, dass SORMAS umgehend verpflichtend in allen bayerischen Gesundheitsämtern angewendet werden soll.
In Kürze wird SORMAS über Schnittstellen an das Meldeprogramm SurvNet des Robert Koch-Instituts angebunden sein. Somit können Fälle direkt aus SORMAS heraus an SurvNet übermittelt werden – der CSV-Export, etwa mittels Excel-Listen, entfällt. Auch ein digitales Symptomtagebuch wird angeschlossen, sodass Symptomangaben der Kontaktpersonen direkt in SORMAS erscheinen und den Gesundheitsämtern viele Telefonate ersparen.
SORMAS, das Epidemie-Management-System des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung Braunschweig (HZI) wurde vom HZI gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut und anderen Partnern entwickelt, ursprünglich, um in strukturschwachen Regionen Infektionen wirksam überwachen und managen zu können. Die Software stammt von der vitagroup. Bereits seit 2017 verantwortet die vitagroup die Entwicklung der Software SORMAS, die Abstimmung von Schnittstellen mit anderen Systemen und unterstützt im Support der Anwendung. Die Netzlink Informationstechnik GmbH liefert Software as a Service, ist der Managed Service Betreiber und Ansprechpartner für technische Fragen. Die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf führt gemeinsam mit dem HZI die SORMAS-Schulungen durch, betreut die Hotline, entwickelt Schulungsmaterialien und unterstützt, berät und begleitet die Gesundheitsämter bei der Implementierung und Anwendung von SORMAS.
Vom Epidemie-Mangement-Programm für Afrika zur COVID-19-Kontaktverfolgungssoftware für Gesundheitsämter
Wie SORMAS vom Epidemie-Management-Programm für Afrika zu SORMAS-ÖGD, der Software für Gesundheitsämter zur COVID-19-Kontaktverfolgung wurde und welche Herausforderungen sich dabei ergeben, erzählt Dr. Nils Hellrung, General Manager der vitagroup, im BITKOM-Talk.