openEHR und FHIR: das Beste beider Welten
Nach der Ankündigung der Zusammenarbeit zwischen der HL7- und der openEHR-Community geben wir Ihnen hier einige Einblicke, wie wir beide Standards im HIP CDR, unserer offenen SaaS-Plattform Gesundheitsdaten, einsetzen.
Wir, die vitagroup freuen uns sehr über diese Kooperation. Denn wir setzen unser gesamtes Portfolio seit vielen Jahren auf Basis von openEHR und FHIR auf. Das HIP CDR (HIP Clinical Data Repository) ist bereits in über 30 Krankenhäusern in Deutschland im Einsatz.
openEHR: die offene Plattform für native Interoperabilität
Das Wertversprechen des HIP CDR ist die herstellerneutrale Digitalisierung. Daher war der Startpunkt bei der Entwicklung des HIP CDR die Definition einer international standardisierten und zu 100 % offenen Datenschicht.
openEHR International bietet die kostenlosen Spezifikationen für den Aufbau einer offenen Plattform, die als Grundlage für eine zentralen Data Hub dient und ein Ökosystem nativ interoperabler Anwendungen ermöglicht.
Die standardisierte System- und Informationsarchitektur bildet die Grundlage für ein transaktionales Daten-Backend, das unter anderem in folgenden Systemen zum Einsatz kommt:
- elektronische Krankenakten
- Anwendungen für das Versorgungsmanagement
- Systeme zur Entscheidungsfindung
Vor diesem Hintergrund kann man openEHR als das Äquivalent zu den Datenbanken betrachten, die in EMR-Systemen wie Cerner oder Epic eingesetzt werden. Natürlich mit dem großen Unterschied, dass openEHR herstellerneutral, offen und standardisiert ist und über ein leistungsfähiges Softwareentwicklungs- und Modellierungs-Framework sowie ein weltweit aktives Tooling-Ökosystem verfügt.
Die klinischen Inhalte in openEHR basieren auf einem internationalen, von der Community getriebenen Modellierungsansatz, der eine wachsende Bibliothek sorgfältig kuratierter Datenmodelle (sogenannter Archetypen) bereitstellt. Archetypen zielen auf einen maximalen Datensatz ab. Das bedeutet, dass sie in verschiedenen klinischen Bereichen und Anwendungsfällen wiederverwendet werden können, um Informationen für die elektronische Patientenakte auf eindeutige Weise zu erfassen. Das openEHR-System kann jederzeit um neue Archetypen erweitert werden und dadurch die erfassten klinischen Bereiche und Datenpunkte flexibel ausbauen.
In unserem HIP CDR stellt openEHR die Technologie, um Daten langfristig zu speichern und ein Ökosystem von nativ interoperablen Anwendungen aufzubauen. Die Kombination aus einer gemeinsamen Architektur, starken Softwareentwicklungsfähigkeiten und der klaren Trennung von Anwendung und Daten ermöglicht die langfristige Verwaltung von Daten „auf Lebenszeit“.
FHIR: Datensilos aufbrechen
Die Vorteile von openEHR werden durch FHIR ergänzt. FHIR technische Ressourcen, Tools und Methoden zur Definition standardisierter APIs (Schnittstellen) in klinischen Anwendungssystemen. Dadurch können bestehende Systeme einen standardisierten Weg für den Zugriff auf und den Austausch von Gesundheitsinformationen bieten. In der heutigen Welt proprietärer Systemarchitekturen bietet FHIR Gesundheitssystemen die Möglichkeit, die Interoperabilität zu verbessern, indem sie Hersteller dazu anhalten, diesen Standard zu verwenden.
FHIR liefert auch die Grundlage, um Anwendungen wie Patientenportale und Apps über die Schnittstellen (API) mit Plattformen zu verbinden, hilft bei der Standardisierung von Authentifizierungs- und Autorisierungsworkflows von Drittanbieteranwendungen (über SMART on FHIR) sowie bei der Definition und Orchestrierung klinischer Prozesse und ergänzt den Nachrichtenaustausch von HL7 v2.
OpenEHR & FHIR: eine überzeugende Kombination
PatientInnen, Leistungserbringer und das Gesundheitssystem insgesamt profitieren in hohem Maße von der Kombination beider Standards, wie sie in HIP CDR angewendet werden:
Datenmanagement / Datenverwaltung
- Durch die Verwendung von openEHR-Archetypen können Organisationen umfassende Datenverzeichnisse mit detailreichen Metadaten aufbauen. Das Besondere daran ist, dass diese Metadaten direkt für die Datenvalidierung, Datenbankabfragen, die Gestaltung klinischer Formulare, die Speicherung usw. verwendet werden können.
- KlinikerInnen können Archetypen leicht interpretieren, da sie in einer Domänensprache ausgedrückt sind. Auf diese Weise werden InformationsmanagerInnen und KlinikerInnen in die Lage versetzt, das Management von Gesundheitsdaten selbst in die Hand zu nehmen. Keine Feinheiten gehen „in der Übersetzung“ verloren.
- Viele CDRs auf dem Markt bieten eine Kombination aus einer proprietären Speicherschicht und einer über eine Fassade implementierten FHIR-Schnittstelle. Dies geschieht, weil nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Gesundheitsdaten in standardisierten FHIR-Modellen dargestellt wird und die Modellierung komplexer Dokumente (wie OP-Protokolle) mühsam ist. Durch die Verwendung von openEHR anstelle einer proprietären Speicherschicht wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, die Tiefe und Breite des Gesundheitswesens darzustellen und gleichzeitig die Daten in einem offenen Format zu behalten.
Anwendungsentwicklung
- Bei der Entwicklung neuer Anwendungssysteme unter Verwendung von openEHR nutzen die Systeme die Architektur und die Datenmodelle der elektronischen Gesundheitsakte gemeinsam und ermöglichen so Interoperabilität „by design“. Der Zugriff auf die Daten erfolgt über eine standardisierte Schnittstelle mit einer leistungsfähigen Abfragesprache („Archetype Query Language“), so dass Anwendungen zwischen verschiedenen Implementierungen von openEHR portabel sind. Da die Architektur für den Aufbau transaktionaler Anwendungssysteme ausgelegt ist, gibt es sowohl kleinere Anwendungen als auch umfassende EMR-Systeme, die auf openEHR basieren.
- Aufgrund der Trennung von Daten und Anwendungen „tauschen“ die Systeme keine Daten aus, sondern greifen über eine gemeinsame Datenschicht im CDR auf sie zu. Dies bedeutet, dass eine mühsame Datenintegration mit Hilfe von Nachrichten und semantisch verlustbehafteten Kopien von Gesundheitsdaten vermieden werden.
- In openEHR beginnt der Entwurf von Formularen immer mit dem Datenmodell (unabhängig davon, ob Low-Code-Tools verwendet oder manuell programmiert wurde). Dieser Ansatz stellt sicher, dass alle Dateneinträge in der Gesundheitsakte ordnungsgemäß mit umfangreichen Metadaten definiert sind und nicht mit Ad-hoc-Strukturen, die später umfangreiche Mappings erfordern könnten.
Datenintegration und -austausch
- FHIR ermöglicht es, einen Auszug aus der detaillierten und umfassenden elektronischen Patientenakte zu erstellen und in Ressourcen und Bundles zusammenzufassen, um bestimmte Anwendungsfälle wie Berichte, den Austausch von Gesundheitsinformationen (z. B. Medikationspläne, Entlassungsbriefe u. a.) zu erfüllen. In der Regel handelt es sich bei diesen Berichten nicht um Ausdrucke von Daten, sondern sie müssen dynamisch aus verschiedenen Datenpunkten in der Gesundheitsakte zusammengestellt werden.
- Diese Fähigkeit ist besonders dann nützlich, wenn verschiedene FHIR-Implementierungsleitfäden die Verwendung der gleichen Daten in verschiedenen Profilen vorschreiben. Auch Änderungen in der Version der Schnittstelle, zum Beispiel der Wechsel von FHIR R4 zu R5, führen nicht zu kostspieligen Datenmigrationen von Milliarden von Datenbankzeilen.
- Da in vielen Ländern immer mehr Schnittstellen auf Basis von FHIR gefordert werden, wird die Integration von Daten in das CDR erleichtert. Die Anpassung erfolgt jedoch nur langsam, und nach wie vor wird in der Regel nur ein Bruchteil der verfügbaren Datenpunkte abgedeckt, da die Mappings von internen Modellen auf FHIR-Schnittstellen einen erheblichen Aufwand für die Systemanbieter bedeuten.
Nutzbare Gesundheitsdaten
- Eine Plattform, die auf openEHR und FHIR basiert, erhöht die Möglichkeiten, den Leistungserbringern im Gesundheitswesen alle relevanten Patientendaten am Ort der Versorgung zur Verfügung zu stellen. Dieser umfassende Datenzugriff ermöglicht eine fundiertere Entscheidungsfindung, schnellere Behandlungen und personalisierte Pflegepläne.
- Die verbesserte Datenkonsistenz und -verfügbarkeit hilft auch bei der Behandlung chronischer Erkrankungen, bei denen eine langfristige Datenverfolgung und eine genaue Krankengeschichte entscheidend sind. Da openEHR und FHIR von der zugrundeliegenden Technologieebene abstrahieren, sind die Systeme effizient wartbar, und die Daten bleiben über die gesamte Lebensdauer des Patienten hinweg zugänglich.
- Die Plattform bildet die Grundlage für fehlerfreie Daten, die zum Training von Algorithmen des maschinellen Lernens und zur Ausführung regelbasierter Systeme zur Unterstützung klinischer Entscheidungen verwendet werden können.
Da FHIR mit dem Ziel entwickelt wurde, eine Schnittstelle für „Blackbox“-Systeme bereitzustellen, und nicht stark in die Systeminterna eingreift, bietet es gute Möglichkeiten, eine breite Palette von Systemdesigns zu unterstützen. In Kombination mit openEHR erhalten die Nutzer diese Vorteile plus die Vorzüge eines standardisierten „Whitebox“-Systems mit starker Datenverwaltung und -modellierung sowie Softwareentwicklungsfähigkeiten.
Zusammenarbeit zwischen openEHR und FHIR: wichtige Meilensteine
Unter diesem Gesichtspunkt kann die Zusammenarbeit zwischen openEHR und FHIR diesen kombinierten Ansatz nur weiter voranbringen. Aus unserer Perspektive, die beide Standards in unserem Produkt einsetzt, sehen wir einige potenzielle Kooperationsbereiche zum Vorteil von Gesundheitsdienstleistern, Patienten und Systemanbietern:
- Gemeinsame Modellierung: Initiativen wie die australische SPARK-Initiative haben Wege aufgezeigt, wie die detaillierten Modelle von openEHR FHIR-Profile informieren können, um eine nahtlose Integration zu ermöglichen. Ein guter Ausgangspunkt kann die Verwendung gemeinsamer Wertesätze auf der Grundlage von SNOMED-CT und LOINC sein.
- Gemeinsame Datenverwaltung: Fortschrittliche Governance-Tools können die direkte Darstellung von Mappings und Beziehungen zwischen beiden Standards ermöglichen.
- Technische Spezifikationen: Während Datentypen zwischen openEHR und FHIR abgebildet werden können, kann eine weitere Angleichung der Softwareklassen die Integration erleichtern.
- Standardisierte Mappings: Die Bereitstellung von Paketen mit wiederverwendbaren Mappings kann dazu beitragen, eine hersteller- und gemeinschaftsübergreifende Bibliothek aufzubauen, die eine Plug-and-Play-Integration ermöglicht.
Beide Standards sind für sich genommen sehr wertvoll für das Gesundheitssystem, und die gemeinsame Nutzung bietet sogar noch größere Vorteile und eine wirklich herstellerunabhängige Datenplattform. Der duale Ansatz stellt nicht nur sicher, dass medizinische Daten jederzeit und überall verfügbar sind, sondern auch, dass ihre Genauigkeit und Relevanz im Laufe der Zeit erhalten bleibt, was für das Management chronischer Krankheiten, eine umfassende Versorgung und die allgemeine Patientensicherheit unerlässlich ist.
Die Aussicht auf die Zusammenarbeit von HL7 und openEHR International überzeugt uns einmal mehr, das Fundament der Datenplattform, das Betriebssystem, für die Gesundheitssysteme von morgen zu schaffen.